Йонасу Кону[721]
Łódź, ul. Narutowicza 128
29. VIII. 46
Meine lieben, teueren Freunde,
Es war für mich wirklich eine grosse Freude, Ihren Brief zu erhalten. Ich habe so lange von Ihnen nichts gehört, auch nicht einmal wusste, ob es Euch schliesslich doch gelungen ist, das Dritte Reich noch rechtzeitig zu verlassen. Im letzten Brief, den ich im Frühjahr 39 von Ihnen erhalten hatte, schrieben Sie mir, daß Sie eben hoffen, zu Ihrem Sohn nach England fahren zu können. Seitdem aber keine Nachricht von Ihnen u[nd] dann – der Krieg. Erst vor einigen Tagen bekam ich von Tschizewskij einen Brief, in dem er mir schrieb, daß Sie leben und in Engl[and] sind, ohne aber Ihre Adresse mitzuteilen. Und nun heute sehe ich wiederum nach so vielen Jahren Ihre liebe, so charaktervolle, „weise“ (würde Stepun sagen) Handschrift. Es wäre mir furchtbar schwer, ja psychisch beinahe unmöglich, über das im Krieg erlebte genau zu berichten. Wenn ich selber jetzt daran denke, so glaube ich kaum, daß das alles wirklich geschah, ja geschehen konnte. Ob nun andere, die nichts Aehnliches erlebt haben, dem auch glauben werden? Also beschränke ich mich in meinem kurzen Bericht auf wenige Haupttatsachen.
Meine erste Frau, Nina, wohnte mit unseren älteren Sohn Eugen weiter in Prag, als der Krieg ausbrach. Wir korrespondierten miteinander regelmässig seit der Wiederaufnahme des Postverkehrs Warschau-Prag im 1940, und es gelang mir sogar, ihr von Zeit zu Zeit Geld zu überweisen (illegal). Ende 42 erhielt ich von ihr ihre letzte Karte aus Prag, in der sie mir schrieb, dass sie Prag verlassen muss und ins Unbekannte fährt, sagte mir und unseren jüngeren Sohn Mitia ihr Lebewohl. Seitdem keine Spur, ich weiß nicht mal, in welchem Lager sie von den Hitlerdeutschen umgebracht wurde. Eugen wurde einige Monate später verhaftet, dann ins Lager geschickt, eine Zeit lang arbeitete er auf einem Landgute, dann wieder ins Lager gebracht. Ich hatte durch Prager Freunde Nachrichten über ihn, konnte ihm sogar von Zeit zu Zeit Pakete auf demselben Wege schicken. Nach dem Warschauer Aufstande (1944) verlor ich jede Spur von ihm, und erst später erfuhr ich folgendes: er lebte noch bis zum April 45 in einem Lager unweit vom Oranienburg, erkrankte dann an Dysenterie und wurde nach Oran. abtransportiert. Nun nur Warscheinliches: er befand sich unter den im letzten Moment „Evakuirten“, von denen keiner mehr gesehen wurde. Nicht unter den schwer Kranken, die nicht mehr gehen konnten und die man in der Eile krepieren liess – von denen aber viele nach der Befreiung von den Russen gerettet und zur Gesundheit gebracht worden sind!